„Sparmaßnahmen der Bundesregierung hätten dramatische Folgen für die Integration“
DIE DIAKONIE
Migrationsfachdienste
und Ratsuchende der Diakonie Lübbecke treffen Bundestagsabgeordnete
Deutschlandweit führten die Beratungsprogramme des Bundes, die Migrationsberatungen für erwachsene Zuwanderer (MBE) und die Jugendmigrationsdienste (JMD) für junge Menschen mit Migrationshintergrund von 12 bis 27 Jahren, am 13. September einen Aktionstag durch. Ziel der Aktion war es, auf die verheerenden Sparmaßnahmen der Bundesregierung im Bereich Integration aufmerksam zu machen. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung sind Kürzungen in Höhe von 30% für die MBE und 40% für die JMD vorgesehen. Diese Beratungsdienste unterstützen zugewanderte Menschen mit bedarfsgerechter Integrationsplanung. Sie helfen z.B. bei der Suche nach passenden Sprachkursen und Weiterbildungseinrichtungen, bei der Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse oder bei Bewerbungen um Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
Der Einladung in die Espelkamper Räumlichkeiten der Diakonie Lübbecke folgten die Bundespolitiker aus dem Kreis Minden-Lübbecke Achim Post (SPD), Shahina Gambir (Bündnis 90/Die Grünen) und Frank Schäffler (FDP). Sie trafen sich mit Lutz Schäfer, dem geschäftsführenden Vorstand der Diakonie Lübbecke, der für den JMD zuständigen Beraterin Birgit Meyer und dem MBE-Berater Sebastian Atmer. Gemeinsam mit vier ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die regelmäßig von beiden Beratungsdiensten begleitet und unterstützt werden, fand ein sehr lebendiger Austausch statt. Dabei wurden alltägliche Herausforderungen und Hürden beschrieben, mit denen die nach Deutschland immigrierten Menschen konfrontiert werden, und die daraus resultierenden Ergebnisse diskutiert, mit denen sie leben müssen.
Ein aus Indien stammender Mann lebt seit drei Jahren mit seiner deutschen Frau in Espelkamp. Er berichtete von seinen erfolglosen Bemühungen, seinen indischen Fachhochschulabschluss als Maschinenbauingenieur anerkennen zu lassen. Bislang sah sich keine Behörde dafür zuständig, schließlich konnte dank der Beratung durch Sebastian Atmer eine Anerkennung als Industriemechaniker bei der IHK beantragt werden. „Durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz werden wir noch viel mehr Beratungsanfragen aus dem In- und Ausland erhalten, die diesem Fall ähneln“, sagte der MBE-Berater. Frank Schäffler von der FDP bestätigte: „Unser Ziel ist es, die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften zu erleichtern, die den hohen Personalbedarf unserer Unternehmen abdecken können.“
Die Vertretenden der Diakonie und die von ihnen begleiteten Personen stellten jedoch infrage, wie eine Integration der angeworbenen qualifizierten Fachkräfte bzw. allgemein von Zugewanderten erfolgen soll, wenn keine ausreichende Finanzierung der unterstützenden Beratungsdienste gegeben ist. „Wir verzeichnen die höchsten Zahlen von Zuwanderung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Von daher sind die im Bundeshaushalt geplanten Kürzungen absolut nicht nachvollziehbar. Sparmaßnahmen hätten dramatische Folgen für die Integration“, sagte Birgit Meyer. „Vor dem Mindener JMD-Büro der Diakonie Lübbecke stehen Jugendliche und junge Erwachsene oft Schlange. Anstelle von Kürzungen wird eine höhere Regelfinanzierung für mehr statt weniger Personal benötigt, um diesem Ansturm dauerhaft gerecht werden zu können,“ so die engagierte und erfahrene Sozialpädagogin.
Vom JMD wird ein junger Mann aus dem Iran begleitet, der von der schwierigen Situation in einer Flüchtlingsunterkunft berichtet, in dem er sich ein kleines Zimmer mit einem Mitbewohner teilen muss und es für niemanden Privatsphäre gibt. Als Geflüchteter im laufenden Asylverfahren hat er noch keinen Anspruch auf einen geförderten Integrationskurs. Dennoch hat er die deutsche Sprache so gut im Selbststudium erlernt, dass eine flüssige Kommunikation möglich ist. Frau Meyer hilft ihm derzeit bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz. Ein anderer junger Mann war 2015 aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet. Er hatte deutsch in Sprachkursen der Diakonie erlernt und danach einen Schulabschluss im Weserkolleg nachgemacht. Nach dem Absolvieren seiner Ausbildung als KFZ-Mechatroniker wurde er von dem Ausbildungsbetrieb übernommen. Er arbeitet heute als qualifizierte Fachkraft in Vollzeit, ist unabhängig von staatlichen Leistungen und trägt jetzt seinen Teil dazu bei, das deutsche Sozialversicherungssystem aufrecht zu erhalten. In seiner Freizeit übersetzt er für die Diakonie, „um anderen Flüchtlingen zu helfen und um etwas zurückzugeben. „Ohne die Unterstützung im JMD hätte ich das alles nicht geschafft, allein schon die Behördenbriefe zu verstehen und die amtlichen Formulare auszufüllen,“ betonte er.
Achim Post (SPD) interessierte sich unter anderem für die Netzwerkarbeit und insbesondere die Zusammenarbeit mit Ämtern und Behörden. „Was wären die Folgen der Kürzungen aus Ihrer Sicht?“, wollte er von den Mitarbeitenden der Diakonie wissen. Die waren sich einig, dass noch mehr Anforderungen auf die vielfach überlasteten Mitarbeitenden in den Behörden zukommen würden. Migrationsdienste übernähmen eine wichtige Mittlerfunktion in der Zusammenarbeit mit den Ämtern. Die Fachkräfte helfen beim Ausfüllen von Formularen, beantworten Fragen und klären aufkommende Probleme. Durch ihre Arbeit würden sie erheblich zu einer Entlastung der Behörden beitragen. Bei einer fehlenden Unterstützung durch die Migrationsdienste würden zudem weniger Zugewanderte in Ausbildung und Arbeit vermittelt und weniger Empfänger von staatlichen Transferleistungen zu sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern werden. „Wenn wir die Bedeutung von Migration aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachten, dürfte klar sein, dass die Beratungsprogramme MBE und JMD vielmehr einen Mehrwert als einen Kostenfaktor darstellen“, stellte Diakonie-Vorstand Lutz Schäfer fest.
Die Bedeutung der Migrationsdienste wurde auch von einer jungen Frau bestätigt, die im vergangenen Jahr gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet war und seitdem von Sebastian Atmer beraten wird. Sie hatte vor kurzem ihren Integrationskurs mit Bravour bestanden, absolviert nun ein Praktikum als Zahntechnikerin und sagte: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, eine weitere Ausbildung in Deutschland abzuschließen. Beruflich fange ich zwar von vorne an, aber wir könnten als Familie dauerhaft in Deutschland bleiben und ein vollwertiger Teil der deutschen Gesellschaft werden.“ Beeindruckt von den ausgezeichneten Deutschkenntnissen der jungen Frau stellte Schahina Gambir (Grüne) fest: „Ich freue mich, dass die Geflüchteten aus der Ukraine so gute Rahmenbedingungen vorgefunden haben. Es muss uns aber gelingen, so gute Rahmenbedingungen für alle Zuwanderungsgruppen zu ermöglichen. Dafür ist Beratung und Begleitung durch die Migrationsdienste ein unverzichtbares Mittel“. Es sind Aussagen wie diese, die den Beratern, dem Träger, aber insbesondere den Ratsuchenden neue Hoffnung verschaffen.